Die Zeit an der neuen Schule zog sich quälend langsam, aber je mehr ich mich mit Lina beschäftigte, desto mehr fühlte ich mich irgendwie weniger allein. Sie hatte diese ruhige Art, die mich auf seltsame Weise beruhigte. Wir waren zwei Fremde in einer neuen Welt, aber zusammen fühlte es sich an, als ob wir uns ein kleines Stück Heimat schaffen könnten. Es war erstaunlich, wie schnell wir uns aneinander gewöhnten. Obwohl wir aus verschiedenen Ländern stammten, hatte ich das Gefühl, dass wir uns in unseren Kämpfen irgendwie ähnlich waren. Sie kam aus Kroatien, hatte die Sprache nicht richtig gelernt und war wie ich neu in diesem Land. Ich half ihr, sich zurechtzufinden, zeigte ihr die besten Wege durch die Stadt und brachte ihr bei, was es heißt, in Deutschland zu leben. Doch in Wahrheit war es nicht nur der Austausch von Wissen, der uns verband. Es war mehr. Wir hielten uns gegenseitig aufrecht, als ob wir uns für einen Moment nicht nur in einer fremden Umgebung wiederfanden, sondern auch in einer uns unbekannten Welt der Möglichkeiten. Lina und ich verbrachten immer mehr Zeit zusammen. In der Schule, nach der Schule, immer häufiger in den Pausen. Wir redeten über alles – über unsere Familien, über unsere Träume, über das, was uns quälte. Obwohl sie manchmal still war, konnte ich in ihren Augen sehen, dass auch sie kämpfte. Ihre Geschichte war anders als meine, aber in ihrem Schweigen lag eine tiefere Traurigkeit, die ich nur zu gut kannte. Es war seltsam, wie wir uns gegenseitig ergänzten. Ich, die viel redete und immer versuchte, das Leben leichter zu machen, und sie, die leise war, aber dennoch einen starken Eindruck hinterließ. Wir passten zusammen wie zwei Puzzleteile, die einander suchten, ohne zu wissen, dass sie einander schon lange brauchten. Es gab Tage, an denen ich einfach nur da saß und mit Lina redete, als ob die Welt um uns herum stillstand. Es war, als hätten wir unsere eigene kleine Welt erschaffen, in der es nur uns beide gab. In dieser Welt waren wir nicht von den Ängsten und Sorgen gequält, die uns in der Realität belasteten. Doch es gab auch diese Momente, die mich in Zweifel stürzten. Kleine Dinge, die mich nachdenklich machten. Lina schien immer mehr in ihre eigene Welt zu entgleiten. Manchmal, wenn ich sie ansah, hatte ich das Gefühl, dass sie mich nicht wirklich sah. Sie war oft in Gedanken vertieft, blickte ins Leere, als ob sie irgendwo anders wäre – weit weg von mir. Es war, als ob sie sich selbst verlor, und ich konnte sie nicht mehr erreichen. Diese Momente füllten mich mit einem seltsamen Gefühl der Leere, als ob etwas zwischen uns stand, das ich nicht benennen konnte. Ich wusste, dass sie vielleicht mehr brauchte als nur meine Hilfe. Aber was konnte ich ihr schon geben? Ich war genauso verloren wie sie.
Trotz allem hatte ich nie das Gefühl, dass ich sie verlieren würde. Ich hielt an der Idee fest, dass wir zusammen alles überstehen könnten. Wir hätten uns nicht getroffen, wenn wir nicht bestimmt gewesen wären, uns gegenseitig zu finden, dachte ich. Es gab nichts, was uns auseinanderbringen könnte. Nicht die Schwierigkeiten, nicht die Missverständnisse, die sich immer wieder auftaten. Es war an diesem Tag, als wir zusammen in einem Café saßen, dass sie mir etwas sagte, das ich nie wieder vergessen sollte. „Manchmal denke ich, ich verliere mich", flüsterte sie, als ihre Augen zu Boden gingen. „Ich weiß nicht, wer ich wirklich bin." Ich sah sie an, ohne zu wissen, wie ich darauf antworten sollte. Aber dann, nach einem langen Moment des Schweigens, nahm ich ihre Hand und sagte:
„Du bist du, Lina. Und du bist genug."
Sie sah mich mit einem leichten Lächeln an, und ich spürte, wie wir wieder zueinander fanden. In diesem Moment war alles irgendwie okay. So, als ob wir uns gegenseitig auffingen, auch wenn keiner von uns wirklich wusste, wohin der Weg uns führen würde.
Ich wollte ihr helfen. Ich wollte ihr zeigen, dass sie nicht allein war. Doch die Wahrheit war, dass ich oft selbst nicht wusste, wer ich war.

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I'm the girl who suffered
Teen FictionEin M?dchen, das nur eines wollte: endlich glücklich sein. Doch das Leben war nie gn?dig zu ihr. Statt Liebe bekam sie Schmerz. Statt Sicherheit Angst. Statt einer Kindheit Wunden, die niemand sah. Jahre vergehen. Sie k?mpft, f?llt, steht wieder auf...