I'm not living, I'm just surviving

Samantha P.o.V.

Ich roch sie schon bevor ich sie sah. Die unverkennbare Fahne aus Alkohol, Zigarettenqualm und Deo kroch zu mir rüber und hüllte mich in eine Wolke aus Gestank. "Na, lange nicht gesehen, Prinzessin!" Ihre Stimme war rauer als sonst, wobei der Spott immernoch deutlich zu hören war. Stumm schaute ich geradeaus. Ich wollte nicht mit ihr reden. Ich wollte mit niemanden reden. "Ach Prinzessin. Du kannst mich nicht ewig ignorieren. Niemand kann meinem Charme auf Dauer widerstehen", sie lachte bitte auf. Langsam drehte ich mich zu ihr um. "Grace", sprach ich gedehnt und sah sie lange an. Grinsend bließ sie mir eine Rauchwolke ins Gesicht. Ihre langen Haare hingen wirr in ihr Gesicht und sie sah aus wie der Tod persönlich. "Du kannst ja doch sprechen", sie zwinkerte mir zu und zog noch kräftig an der Zigarette, nur um mir erneut Rauch ins Gesicht zu pusten.

"Was machst du hier", fragte Grace, gekleidet in ihre schwarze Lederjacke und ihren Rockerstiefeln, und drückte die Zigarette auf dem schmutzigem Boden aus. "Ich bin hier. Keine Ahnung warum. Vielleicht um beim Fußball zuzuschauen?" Grace lachte leise auf. "Fußball ist spannend, was?" Ich sah sie mit großen Augen an, woraufhin sie nun loslachte. "Ich hasse es. Aber es ist jedes Mal amüsant anzuschauen." "Warum spielen die überhaupt Fußball? Waren sie nicht im Footballteam", fragte ich und sah kurz zum Feld runter, aber das Spiel hatte noch nicht begonnen. Grace hatte recht. Ihrem Charme konnte man sich nicht entziehen: Ich redete mit ihr! Überschwänglich warf Grace ihre braunen zerzausten Haare zurück. "Die Jungs haben so eine dämliche Wette verloren. Und nun sind sie statt im Footballteam im Fußballteam. Solche Deppen. Du wirst noch sehen, sie sind alles andere als talentiert. Man muss ihnen aber auch zurechnen, dass sie sich nicht wirklich Mühe geben."
Grace wurde vom Geschrei der anderen Jugendlichen unterbrochen. "Ah, es geht los", erfreut klatschte sie in die Hände. Der großen Ansammlung an Menschen zu urteilen, genossen hier viele das Schauspiel. "Aja, bevor ich es vergesse. Nach so einem Spiel ist immer eine große Party. Heute ist sie bei Diego. Komm doch auch." Dieses Mädchen war so verdammt sprunghaft. Andauernd fand sie ein neues Thema, über welches sie sprach. Zum Glück musste ich nicht mehr antworten, denn das Spiel war schon angepfiffen worden.

Sie waren schlecht, sehr schlecht. Lucas, Leon, Diego, Scotch, Jackson. Sie alle spielten schlecht. Man merkte ihnen an, dass sie eigentlich Footballer waren. Jackson wurde schon nach der sechsten Spielminute vom Platz verwiesen, da er den Fußball andauernd werfen wollte und Hand war nunmal in diesem Spiel verboten. Lucas und Diego jagten sich selbst den Ball ab, obwohl sie eigentlich in einem Team waren. Leon stand im Tor und hatte auch nicht annähernd Lust sich irgendwie zu bewegen. Und Scotch faulte. Jeder Spieler, der auch nur in seine Nähe kam, wurde getackelt oder anders zu Fall gebracht. Es war grausam dieses Spiel anzuschauen.

Langsam drehte ich mich zu Grace um. Diese reichte mit vergnügt ihre Popcorntüte. "Willst du? Das macht alles noch viel amüsanter. Ich fühle mich jedes Mal wie in einer schlechten Komödie", mampfte sie, während sie mit ihren verdreckten Fingern in die Schachtel langte. "Du hast auch ein paar Probleme, oder", fragte ich und nahm mir aber dennoch etwas Popcorn. Scheiß auf die möglichen Bakterien durch sie. "Natürlich. Ich muss mich ja von euch reichen Gören und Losern unterscheiden", nuschelte sie und stopfte sich noch mehr in den Mund. Doch auch dieses Popcorn flog ganz schnell wieder raus, als sie wütend schrie: "Hey, ihr Wixxer. Jetzt zeigt endlich was ihr könnt." Angeekelt rückte ich etwas von ihr ab. Lachend warf sie Popcorn nach mir. Doch bevor ich irgendwas erwidern konnte, sprang sie auf und brüllte wie verrückt irgendwelche Schimpfwörter. Ihre Schimpftirade schien Wunder zu wirken, denn Sekunden später fiel das erste Tor. Diego hatte den Ball im hohen Bogen ins Tor getreten. Ins eigene.

"Alter Diego! Das ist jetzt schon dein zweites Eigentor in dieser Saison. Jetzt beweg deinen verdammten fetten Arsch und mach mal ein Tor für uns", wetterte Grace los und schleuderte die Popcorntüte nach unten. Empörtes Gemurmel erklang und ein paar Schüler drehten sich um. Mit Mühe zerrte ich Grace wieder auf die Bank und hielt sie neben mich. "Alter, verdammte Kacke. Das war jetzt schon das fünfte Eigentor insgesamt. Und die Saison hatte für uns gerade mal drei Spiele!! Sie sollen den Kack endlich ernst nehmen oder ich trete ihnen höchstpersönlich in die Ärsche", begann Grace sich aufzuregen. Mit jedem Satz redete sie sich mehr in Rage. „Ich glaube, der gute braucht mal Sexentzug. Dann gibt er sich hier vielleicht mal etwas mehr Mühe." Genervt vergrub ich das Gesicht in meinen Händen. Es waren erst zwanzig Minuten vergangen. Ich glaube, ich werde hier vor Peinlichkeit sterben.

Das Spiel endete 0:3. Leider nicht für uns, sondern für die anderen. Zwei von den drei Toren waren Eigentore. Wobei ich vermutete, dass diese Bälle mit Absicht ins eigene Tor gewandert waren. Nichtmal die Jungs waren so dumm und machten aus Versehen Eigentore.
Wobei. Man weiß nie.
Nun stand ich beim Parkplatz und wartete. Worauf ich wartete? Ich weiß es nicht. Vielleicht auf Lucas, vielleicht auf Elli. Sie erschien jedenfalls zuerst, diesmal in Jeans und Top gekleidet. "Hey, Sam! Du bist ja tatsächlich geblieben", rief sie und fiel mir wie immer in die Arme. "Man, dass war ein Spiel. Die Stimmung war ja mal mega", jauchzte sie. "Ihr habt das gegnerische Team angefeuert", meinte ich anklagend und wollte mich auf ihrem Klammergriff befreien, doch es ging nicht. "Wir sind für die Gewinner, nicht für die Verlierer", erklärte sie mir grinsend. Das war natürlich eine einwandfreie Logik. "Und jetzt komm, Leon nimmt uns mit zur Party!" Sie wollte los stiefeln, doch dann drehte sie sich um und schaute mich nochmal von oben bis unten an. "Du bist geschminkt. Steht dir, aber das nächste Mal kannst du das Make-Up auch weglassen. Ich finde dich immer hübsch", grinste sie und zerrte mich über den Parkplatz.