«Hey Baby.»
Glücklich springe ich ihm entgegen, strecke mich und schlinge meine Arme um seinen Hals, bevor ich ihn stürmisch küsse. Chad ist fast einen Kopf grösser. Ich könnte schwören, dass er in diesen zwei Wochen noch grösser geworden ist. Ich bin ebenfalls ein Meter zweiundsiebzig gross, aber Chad ist über eins neunzig. Er schlingt seine Arme um mich und hebt mich hoch. Mit einem Fuss gibt er der Tür einen Schubs, so dass sie ins Schloss fällt. Chad trägt mich zu seinem Bett. Sanft legt er mich darauf nieder und ist gleich über mir. Er stützt sich auf einem Unterarm ab, um mich nicht zu erdrücken. Ich beende den Kuss, um nach Luft zu schnappen.
Ich ringe nach Atem: «Ich habe dich so vermisst.»
«Ich dich auch.»
Ich betrachte ihn und folge mit meinen Fingern den Konturen seiner Muskeln. Das Sommercamp hat ihm gutgetan. Er ist braun geworden und sieht richtig erholt aus.
Ich frage: «Wie war das Sportcamp?»
«Die zwei Wochen waren fantastisch. Ich konnte den ganzen Tag trainieren und musste mich auf nichts anderes konzentrieren. Der Coach meint, dass es dieses Jahr eine richtig gute Saison werden könnte. Wir sind super in Form.»
«Ich freue mich so für dich», mit diesen Worten küsse ich ihn erneut.
«Wie war dein Besuch zu Hause?», fragt er zögerlich.
«Mein Vater hat fast die ganze Zeit gearbeitet, also musste ich die Zeit mit meiner Stiefmutter totschlagen und natürlich hatte sie an allem was zu nörgeln gefunden. Aber ich will nun nicht weiter darüber sprechen.»
Er fragt nicht weiter nach. Langsam schiebt er seine Hand zwischen mein Trägertop und meine Haut und beginnt mich erneut zu küssen. Oh Gott! Wie ich ihn vermisst habe.
Am nächsten Morgen hätte ich meine Mitbewohnerin und Freundin Savannah am liebsten erwürgt. Ich habe diese Nacht nicht viel Schlaf gekriegt, da ich sehr lange bei Chad war. Bereits zwanzig Minuten bevor mein Wecker klingelt, stürmt sie mit ihrer unerträglich fröhlichen Art in mein Zimmer und öffnet die Vorhänge meines Fensters. Brummend ziehe ich die Decke weiter über meinen Kopf, doch sie zieht mir diese einfach weg.
«Du musst mir alles von deinen Ferien erzählen, Jules. Wir haben uns seit einer Ewigkeit gesehen», faselt sie beschwingt.
«Ich hätte dich gerne auch weitere zwanzig Minuten darauf verzichten können!», erwidere ich mürrisch.
Enttäuscht lässt sie die Schultern fallen. Oh nein! Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen. Um diese Uhrzeit ist mein Mund einfach definitiv schneller als mein Hirn. Ich bin so eine doofe Kuh! Sie kann nichts für meine schlechte Laune. Oder zumindest nur teilweise.
Ich versuche mich zu entschuldigen: «Savannah warte. Es tut mir leid. Es war nicht so gemeint. Du weisst doch wie morgenmuffelig ich bin.»
«Schon okay.»
«Ich mach es wieder gut. Ich ziehe mich an und dann spendiere ich dir einen Kaffee bei unserem Lieblings-Coffeeshop auf dem Campus.»
Sie zuckt wieder gutgelaunt mit den Schultern und verlässt hopserhüpfend mein Zimmer. Savannah hat einen südländischen Teint, denn sie ihren mexikanischen Wurzeln zu verdanken hat. Sie trägt immer die buntesten Klamotten, die sie natürlich perfekt tragen kann. Savannah ist die Fröhlichkeit und Gutmütigkeit in Person. Ich kenne niemanden der so hilfsbereit ist wie sie. Leider weiss das nicht nur ich. Sie wird oft ausgenutzt. Ich reibe mir über mein Gesicht und stehe auf. Ich suche mir mein Outfit für den heutigen Tag raus, welches aus einem blumigen Oberteil, hochgeschnittene Hotpants und Converse besteht. Im Bad binde ich meine naturkupfernen Haare in einem Messy Bun auf meinem Kopf zusammen und binde mir ein gefaltetes blumiges Tuch um den Kopf, um die losen Strähnen einigermassen aus meinem Gesicht zu halten. Bei diesen warmen Temperaturen würden, die sonst nur überall auf meiner Haut kleben. Ich schnappe mir meine braune Ledertasche mit Fransen und meine Sonnenbrille und gehe zu Savannah in unser Wohnzimmer. Wir spazieren über den Campus. Hier ist schon ziemlich viel los. Alle Erstis, die orientierungslos über das Gelände irren. Wir werden einige Male aufgehalten und nach dem Weg zu irgendwelchen Vorlesungssäle gefragt. Doch wir gehen zielstrebig zu unserem Zwischenziel. Savannah erzählt mir alles von ihren Sommerferien in jeder Einzelheit. Das meiste habe ich bereits gehört, da wir oft miteinander geschrieben oder telefoniert haben. Trotzdem höre ich ihr aufmerksam zu. Nur bei meiner Story bin ich etwas verschlossen, wie fast zu jedem. Savannah weiss zwar von meiner Familiensituation aus erzähltem, aber mehr auch nicht. Ich glaube, Nick ist die einzige Person, mit der ich offen über meine Familie spreche. Aber nur, weil er mich schon seit der Grundschule kennt und auch meine Familie persönlich kennt. Er weiss, wie schräg sie ist. Aber jetzt ich will nicht mehr daran denken. Nun bin ich wieder hier und heute startet das neue Schuljahr. Ehrlich gesagt freue ich mich auf den Unialltag. Ich habe diese Universität nicht ohne Grund ausgesucht. So habe ich genau den richtigen Abstand von zu Hause und hier. Dass Nick mich begleitet hat, vergesse ich ihm nie. Obwohl er nach diesem Jahr wechseln muss, da diese Uni nicht die nötige Infrastruktur für sein Studium besitzt. Mit unseren Coffee-to-go schlendern wir weiter zu unseren Vorlesungen. Ich zu meinen Fotografiekursen, Savannah zu ihren Lehrerkursen. Ich studiere Kunst. Später möchte ich mich auf das Teilgebiet Fotografie konzentrieren. Ich biege gerade um eine Ecke, als ich gegen eine harte Brust stosse und über meine eigenen Füsse stolpere. Ich sehe den Boden schon auf mich zu schnellen, als sich zwei muskulöse Arme um mich schliessen und mich wieder auf die Füsse stellen.
«Guten Morgen Sweetheart. Wenn du mir an die Wäsche willst, musst du mir nur zuzwinkern und mich nicht gleich über den Haufen rennen.»
Gerade möchte ich zu einer Tirade ansetzen, als ich in das verschmitzte Gesicht von Nick schaue.
Stattdessen antworte ich nur: «Nicht nötig, bin bestens versorgt.»
«Ich frage nicht nach. Ich kann mir die Antwort ausdenken. Aber falls es der kleine Chad nicht mehr bringt, musst du mir nur zwinkern. Ich helfe dir gerne aus. So als Dienst unter Freunden.»
«Okay, stopp! Komm wieder auf den Boden, Mister sexy and I know it. Ich will sicher nicht eine weitere Kerbe in deinem Bettpfosten sein.»
«Autsch. Du verletzt mein Herz», gibt er theatralisch zurück.
Ich klatsche ihm auf die Schulter: «Welches Herz?»
«Wird nicht fies Jules. Sonst fahre ich auch andere Geschütze auf.»
«Sorry Sonnyboy, aber ich muss los.»
Ich drehe mich im Gehen um und zwinkere ihm zu, bevor ich realisiere, was das in seiner Welt bedeutet. Shit!
Er zeigt mit dem Finger in meine Richtung: «Das habe ich gesehen. Sag nur wann und wo.»
Lachend schüttle ich den Kopf und gehe weiter zu meinem Kurs. Mr. Clark hasst es, wenn man zu spät in seinem Unterricht erscheint. Zugegeben, will ich es auch nicht. Ich liebe mein Studium. Das ist eines der Themen, warum ich so zerstritten mit meiner Stiefmutter bin. Sie wollte unbedingt, dass ich was Richtiges studiere, wie Jura, Medizin oder Wirtschaft. Dass ich mich widersetzt habe und mich für Fotografie entschieden habe, passt ihr natürlich gar nicht. Vor allem kann sie, so nicht bei ihren hochnäsigen Freundinnen angeben, wie die es immer über ihre Kinder tun. Ich frage mich immer noch, was mein Vater in ihr sieht. Er hat sich nie geäussert, dass ihm meine Wahl des Studiums nicht passen würde. Vielleicht liegt es einerseits daran, dass er sowieso nie zu Hause ist und anderseits, dass er sich vielleicht wirklich nicht daran stört oder daran will ich gar nicht denken, dass es ihn nicht interessiert. Es ist nichts mehr so wie früher. Ich wünsche mir oft die alten Zeiten zurück, als Mom noch gelebt hatte. Meine Mutter ist gestorben als ich zehn Jahre alt war. Sie hatte Brustkrebs. Es versetzt mir immer noch einen Stich ins Herz, wenn ich mich daran erinnere, wie sie zum Schluss gelitten hat. Die vielen Krankenhausaufenthalte und Chemotherapien. Und wahrscheinlich hatte ich nicht mal alles mitgekriegt, da ich doch noch klein war. Sie hat die Diagnose kurz nach meinem zweiten Geburtstag gekriegt, was auch der Grund ist, dass ich keine Geschwister habe. Zuerst sah es sehr gut aus. Die Ärzte konnten in einer Operation alles entfernen. Auch die anschliessende Chemotherapie hat sie überstanden. Ihr ging es gut. Als ich sechs Jahre war, kriegte sie erneut die Diagnose. Dieses Mal mit Fernmetastasten in der Wirbelsäule und Leber. Nun wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie von uns gehen würde. Sie hat fast vier Jahre lang gelitten. Jedoch sehe ich auch wieder die schönen Dinge, nicht nur wie schlecht es ihr ging. Sie hat versucht, so viel Zeit wie möglich mit der Familie und ihrer Leidenschaft verbracht. Meine Mutter war Künstlerin. Sie hat gemalt. Vielleicht habe ich meine gestalterische Ader von ihr geerbt. Ich würde es mir wünschen. Sie war grossartig. Mein Lieblingsgemälde hängt im Wohnheim über meinem Bett. Bei mir Zuhause hängt nur noch ein einziges Bild, nämlich im Büro meines Vaters. Alle anderen wollte meine Stiefmutter entfernen. Die liegen nun alle im Dachgeschoss oder in meinem alten Zimmer. Was wirklich eine Schande ist. Das Talent meiner Mutter einfach vergeudet. Man sollte ihre Malereien in einer Galerie ausstellen und sie der ganzen Welt zeigen. Falls ich mal eine eigene, mit meinen Fotografien besitze, werde ich auf jeden Fall die Gemälde meiner Mutter darin aufnehmen.
Der Tag vergeht wie im Flug. Aller ist wieder so, als wäre ich nie weggewesen. Ich habe es vermisst. Auch wenn ich Ferien liebe, doch hier zu sein mit meinen Freunden und mein Studium liebe ich mehr. Heute Abend findet die alljährliche Willkommensparty in unserem Wohnheim statt. Es wird eine weitere kurze Nacht werden, aber ich freue mich darauf. Nach meinen Vorlesungen gehe ich ins Stadium und sehe Chad beim Training zu. Ich mache die Fotos für die Collegezeitschrift. Obwohl ich Sport nicht verstehe und wahrscheinlich auch die unsportlichste Person auf dieser Welt bin, liebe ich Fotografien davon zu machen. Die Bilder in Bewegung haben was an sich. Ich gehe ins Büro der Zeitschrift, bearbeite meine Bilder und gebe sie gleich für Ausgabe von dieser Woche ab.
Anschliessend ziehe ich mich in unsere WG zurück, bevor der ganze Tumult beginnt. Ich schminke mich und ziehe mir ein rückenloses Shirt zu den Hotpants an.

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that something between us
RomanceJules und Nick sind die besten Freunde seit sie denken k?nnen und daran soll auch alles so bleiben wie es ist. Aber was ist, wenn die Grenze zwischen Freundschaft und Liebe pl?tzlich zu verschwimmen beginnt? K?nnen sie ihre Freundschaft erhalten ode...
Jules
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