Erneut weckte mich der Schneepflug, der draußen über die verschneiten Straßen schabte. Genervt strampelte ich meine Decke von mir runter, doch zog sie kurz darauf wieder über mich.
Es war eindeutig viiiel zu kalt ohne Decke!
Desinteressiert starrte ich auf die Fensterfront gegenüber von mir und somit in den bewölkten Himmel. Kleine Schneeflocken hefteten sich auf die Fensterscheibe und verschwanden augenblicklich wieder.
Die Ereignisse von gestern bahnten sich langsam wieder zurück in mein Gedächtnis und ließen mich stutzig werden. Dieser Liam wollte nicht aus meinem Kopf verschwinden.
Wer war dieser komische Typ bitte?
Welcher Psychopath umarmt eine wildfremde Person und nennt diese dann auch noch...Mate?
Was bedeutete das überhaupt?
Und wieso verteilte er Küsse auf meiner wunderschönen Haut?!
Er hatte definitiv nicht mehr alle Tassen im Schrank.
Jake wusste etwas, das stand nach seiner gestrigen Reaktion fest. Deshalb müsste ich ihn heute noch zur Rede stellen, unbedingt!
Es machte mich fertig zu wissen, dass ich nichts wusste.
Meine Gedanken ließen mir keine Ruhe, mein Kopf begann allmählich zu schmerzen. Meine Gliedmaßen brannten und meine Muskeln zuckten. Doch mein Geist sehnte sich nach seiner Nähe.
Ich könnte mich selbst Ohrfeigen dafür.
Geschlagen stand ich auf und ging im Pyjama runter in den Wohnbereich. Von weitem vernahm ich schon die Stimme meines Bruders. Anscheinend telefonierte er mit wem, es hörte sich nicht gerade freundlich an.
Im Augenwinkel vernahm ich, wie eine der teuren Vasen achtlos zu Boden geschmissen wurde und sich mein Gastgeber daraufhin aufgebracht durch die Haare fuhr. Eine aufgebrachte Männerstimme schrie Jake an, woraufhin Besagter unterwürfig auf den schwarzen Holzboden blickte.
Ich wusste nicht wieso, doch irgendwas in mir drinnen sagte mir klipp und klar, dass ich mich raushalten sollte.
Also schlich ich lautlos in die Küche und machte mir etwas Müsli fürs Frühstück.
Ohne einen Mucks von mir zu geben, saß ich bei der Kücheninsel und schaufelte Löffel für Löffel in mich hinein. Das Gespräch von meinem Bruder lenkte mich so ab, dass ich gar nicht bemerkte, wie ein paar Tropfen Milch über mein Kinn auf die Arbeitsfläche tropften.
Ich war viel zu neugierig und versuchte andauernd, etwas vom Gespräch auffangen zu können. Doch seit ich im gleichen Raum war wie er, redete er leiser und so hörte ich am Ende erst recht nichts mehr.
Längst war ich mit meinem Frühstück fertig, als Jake endlich mit dem Telefonat aufhörte. Er wirkte wütend und aufgebracht, sein Handy landete mit einem lauten Knall am Holzboden vor der Zimmerpalme und es entstand sofort ein Riss im Display.
Doch meinen Bruder interessierte es nur herzlich wenig und schweigend ging er auf mich zu. Ohne ein Wort zu sagen, setzte er sich neben mich und legte seinen Kopf auf die kalte Marmorplatte.
"Guten Morgen?", murmelte ich fragend und blickte ihn vorsichtig an. Doch ich bekam nur ein leichtes Grunzen seinerseits.
Anscheinend war heute kein so guter Tag, um ihn Fragen zu stellen. Sicherlich würde ich keine Antwort bekommen.
Seufzend stand ich auf, doch eine Hand auf meiner Schulter hielt mich auf.
"Bleib...", hauchte Jake und zog mich in eine feste Umarmung. Überrascht erwiderte ich diese und strich beruhigend auf seinem Rücken auf und ab.
Ich hatte keine Ahnung was los war.
Ob es gut oder schlecht war.
"Alles okay?", fragte ich vorsichtig und löste mich leicht von ihm, sodass ich in seine blauen Augen sehen konnte. Diese wirkten trüb und glasig, so traurig und niedergeschlagen.
Ich machte mir Sorgen.
"Ja...mir geht es gut." Jake zwang sich ein Lächeln auf die bleichen Lippen und zog mich erneut in eine feste Umarmung.
Stumm umarmte ich ihn zurück und ging nicht näher auf seine Antwort ein.
Ich wusste noch von damals, dass man ihn absolut zu nichts zwingen konnte. Vor allem Antworten bekam man von ihm nur, wenn ihm auch wirklich danach war und das trieb unsere Eltern immer wieder aufs Neue in den puren Wahnsinn. Und das solange, bis er sich eine Predigt von unserem Vater anhören durfte, wegen Respekt gegenüber den Eltern. Immer wieder versuchte ich meinen großen Bruder vor den Anschuldigungen unserer Eltern zu retten, doch es gelang mir nur selten. Meistens brachte es nur wenig, doch bereits das war eine große Erleichterung für ihn.
Seine Kindheit war schwer und sicherlich nicht einfach. Aber bis heute fand ich nicht heraus, wieso Mama und Papa ihm so sehr auf den Zeiger gingen.
Langsam löste er sich aus der Umarmung und lächelte mich dankend an. Daraufhin stand er auf, ging an mir vorbei und verließ wortlos das Haus.
Perplex schaute ich ihm nach und wollte ihn aufhalten, doch er war schon längst über alle Berge.

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Scars
Werewolf"Hab keine Angst vor mir, Kleines. Nie im Leben würde ich dich verletzen.", hauchte er sanft und strich mir behutsam über die Wange. Doch diese silbernen Augen, jagten mir immer noch einen Schauer über den Rücken, meine Angst wollte nicht mehr vers...