Jimin POV
Obwohl das Camp nach wie vor schrecklich war, empfand ich die ersten Tage nach dem Wochenende als nahezu angenehm. Wir trainierten vormittags alle gemeinsam und nachmittags in unserer 5er Gruppe.
Jungkook war begeistert gewesen, als wir ihm am Montag unsere Entscheidung mittgeteilt hatten... Sogar der Affe schien sich beinahe darüber gefreut zu haben, dass wir jetzt zusammenarbeiteten.
Ich musste außerdem zugeben: ich bereute unsere Entscheidung kein bisschen. Yoongi verhielt sich auffallend höflich mir gegenüber und gemeinsam legten er und Jungkook beim Training eine unglaubliche Disziplin an den Tag. Ehrlich gesagt, war das genau das, was meine besten Freunde und ich brauchten... bei uns konnte es manchmal turbulenter zugehen. Aber zusammen mit den beiden, hielten sogar wir den Fokus und machten große Fortschritte.
Die Zeit verflog während unserer Trainingseinheiten außerdem wie im Flug und so bemerkten wir am Dienstag zu spät, dass wir nur noch wenig Zeit hatten, bis zu unserem Einzelunterricht.
„Scheiße Chim... wir schaffen es nicht mehr, beide in 77 zu duschen" sagte Tae, als wir bei unseren Taschen an den Bänken des Spielfeldrandes ankamen und er einen Blick auf seine Uhr geworfen hatte.
Ich wusste genau, was er von mir wollte. Seufzend ergab ich mich: „Nagut, dann dusche ich von mir aus hier..." Wir hassten die Großraumduschen in den Trainingsgebäuden zwar beide, aber ich war weniger etepetete als mein bester Freund und hatte Mitleid mit ihm.
In der Umkleidekabine angekommen, erkannte ich mit Schrecken, dass Yoongi noch an seinem Spint stand und nachdenklich eine Nachricht auf seinem Handy tippte. Scheiße, wollte er etwa auch hier duschen!? Wir waren zwar aktuell cool miteinander, aber nebeneinander duschen...!?!? Bitte nicht.
Nachdem er sein Handy mit einer lässigen Bewegung zurück in seine Hosentasche hatte gleiten lassen, nahm er glücklicherweise seine Sporttasche aus dem Spint. Er lächelte mir zu: „Bis morgen Jimin" sagte er warm und verließ unverzüglich die Umkleide. Ich atmete erleichtert auf... Jetzt war ich mir fast sicher, dass ich hier allein und in Ruhe duschen konnte. Zügig legte ich meine Klamotten ab, drehte mir mein Handtuch um die Hüften und schnappte mein Duschgel.
Als ich die Tür des großen Duschraumes öffnete, erkannte ich allerdings zu meinem Bedauern, dass ich hier doch nicht allein war. Ich blickte direkt in Jays Gesicht, der weiter hinten unter einer Brause stand. Glücklicherweise hatte Enhanced die Duschplätze mittlerweile durch Sichtschutze getrennt, die einen immerhin bis zur Brust verdeckten. Das machte diese Situation etwas weniger unangenehm.
Jay bemerkte mein Eintreten und erstarrte sofort. Ohje... schnell senkte ich meinen Kopf und wählte mit Absicht einen Platz, der so weit von ihm entfernt war, wie möglich. Ich drückte auf den Knopf, doch der Wasserstrahl blieb aus.
Zügig ging ich eine ‚Kabine' weiter und versuchte mein Glück erneut. Aber auch hier: kein Wasser.
„Ehm" tönte plötzlich eine schüchterne Stimme hinter mir „es funktionieren aktuell nur zwei Duschen."
Überrascht, dass er mit mir sprach, drehte ich mich zu ihm um. „Nur meine Dusche und die nebendran funktioniert. Du ähm... kannst gerne neben mich kommen."
Ich machte große Augen, bei seinem Vorschlag... nach seiner Reaktion auf mein Eintreten eben, hätte ich ihm so viel Freundlichkeit gar nicht zugetraut. „Ok. Dankeschön" sagte ich hastig, griff meine Sachen und ging zu ihm herüber.
Er wirkte angespannt, was ich gekonnt ignorierte. Stumm duschten wir eine Weile nebeneinander, bis er sich auf einmal räusperte und mich ansah. Sein Blick war durchdringend und irgendwie... neugierig?
„Jimin? Ich... wo ich dich gerade sehe... ich habe eine Bitte an dich."
Oh nein, wollte er jetzt etwa auch, dass ich Namjoons Gedanken las?
„Welche Bitte denn?" fragte ich mit Bedacht.
„Könntest du mal nachschauen, ob meine geistige Abwehr in Ordnung ist? Es ist nur weil... früher habe ich sie oft trainiert und naja also... jetzt habe ich das schon lange nicht mehr gemacht und ich weiß nicht, ob ich es noch kann."
Erleichtert, dass seine Bitte nichts mit Namjoon zu tun hatte, war ich mehr als bereit zu helfen: „Na klar, ich schaue gerne für dich nach." Sogleich näherte ich mich seinem Bewusstsein... und staunte nicht schlecht.
Seine geistige Abwehr glich einer steinernen Festung. Diese Steinmauern wären zwar definitiv nicht uneinnehmbar für mich... aber, obwohl ich in vielen Jahren Unterricht bei Enhanced die unterschiedlichsten Schutzschilde gesehen hatte, hatte sich mir selten eine solche Challenge geboten.
Das erinnerte mich unweigerlich daran, wer die größte Challenge für meine Gabe darstellte: Mein neuer ‚Teamkollege'. Enhanced führte sicherlich schon irgendwelche Experimente mit ihm durch, um seine geistige Abwehr zu erforschen... oder zumindest sollten sie das, es gäbe mit Sicherheit viel zu finden.
Plötzlich bemerkte ich, dass ich gerade länger als zwei Sekunden, in einem völlig unpassenden Moment, an den Primaten gedacht hatte und konzentrierte mich wieder auf den armen Jay vor mir.
Er sah mich mittlerweile mit großen Augen an und erwartete meine Antwort.
„Es ist sehr interessant... Deine geistige Abwehr gleicht einer festen Steinmauer. Ich kann dich beruhigen, ich sehe gar nichts."
„Und ehm... und jetzt?" fragte er sofort und tatsächlich bemerkte ich, dass die Festung jetzt etwas weniger krampfhaft aufrecht gehalten wurde. Das änderte jedoch nichts an ihrer Stabilität.
„Immer noch nicht" lachte ich leise und nickte Jay dann aufmunternd zu „Deine geistige Abwehr ist super, mach dir keine Sorgen. Du kannst sogar stolz darauf sein, so gut sind Wenige."
„Ok danke..." höflich verbeugte er sich „Vielen Dank, das beruhigt mich sehr. Ich... mach mich dann mal auf den Weg also... bis dann" Und schon hatte er sich sein Handtuch umgeworfen und ging zurück in die Umkleidekabine.
Da ich ebenfalls mit duschen fertig war, hätte ich ihm genauso gut folgen können. Aber ich wollte ihn nicht verunsichern. Dieses Gespräch war überraschend entspannt gewesen, ich wollte die Situation jetzt nicht unangenehm machen, indem ich eine komische Stille beim Umziehen provozierte.
Ich schloss die Augen und drehte das Wasser noch ein bisschen heißer. Ein paar Minuten zu spät beim Einzeltraining zu erscheinen, würde mich schon nicht den Kopf kosten.
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Die Woche Schritt voran und mit jedem weiteren Tag Training, wurden wir 5 ein immer eingespielteres Team. Der Rest der Klasse war natürlich wenig erfreut, dass sich die Besten im Fußball jetzt ausgerechnet mit den Zweitbesten zusammentaten und damit die Gewinner quasi feststanden... aber sie zeigten es zum Glück nicht, in ihrem Verhalten uns gegenüber.
Tae und ich hatten am Donnerstagvormittag gerade ein Spiel gegen Jisoo und Rosé gewonnen, als Jisoo zu meiner Überraschung sogar auf uns zu kam.
Sie schüttelte uns die Hände und sagte herzlich: „Gutes Spiel", bevor sie zu ihren Freundinnen zurückging.
Wir schauten ihr einen Moment hinterher und ich nickte anerkennend: „Die Fußballchallenge ist echt unfair für die Mädels und trotzdem sind sie so freundlich zu..."
Plötzlich wurde ich abrupt von einem lauten Schmerzensschrei unterbrochen und wir fuhren reflexartig herum, um zu schauen, woher er gekommen war.
Am anderen Ende des Platzes befand sich eine steinerne Tribüne, an deren Fuß sich jetzt eine kleine Menschentraube bildete.
„Scheiße, ich sehe Jin nirgendwo. Was ist, wenn er...?" Tae neben mir sprintete los und ich hechtete hinterher. Hoffentlich war unserem Ältesten nichts passiert.
Je näher wir der Versammlung kamen, desto deutlicher konnte ich die Szene vor mir erkennen: Jin ging es anscheinend gut, er kniete neben Namjoon, der mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden lag und seinen Knöchel festhielt.
Als wir in Hörweite kamen, vernahm ich sofort mehrere laute Stimmen: „Du hast Namjoon geschubst, wir haben es alle gesehen!" „Verdammte Scheiße, Yoongi, ist das dein Ernst?"
Meine Ankunft bei der Truppe sorgte kurz für betretenes Schweigen, aber das war mir in diesem Moment egal. Schnell warf ich einen besorgten Blick zu Jin, der mir zum Glück sofort mit einem Handzeichen bedeutete, dass es ihm gut ging.
„Leute, beruhigt euch erstmal" sagte der Älteste an die Gruppe gerichtet und wirkte plötzlich ganz Herr der Lage. „Jhope. Hilf mir, Namjoon ins Krankenzimmer zu bringen... das ist jetzt am wichtigsten."
Nachdenklich sah ich mir Jin genauer an. Er strahlte auf einmal eine Klarheit aus, die ich selten bei ihm vernahm. Wahrscheinlich war es das Adrenalin, dass seine Gabe völlig in den Hintergrund gedrängt hatte.
Als die drei verschwunden waren, entstand für einen kurzen Augenblick wieder eine angespannte Stille.
Bis Heeseung plötzlich einen Schritt auf Yoongi zutrat: „Damit wirst selbst du nicht durchkommen" knurrte er, bevor er sich umdrehte und dicht gefolgt von seinen Gruppenmitgliedern, in Richtung Hauptgebäude verschwand.
„Was zur Hölle, ist hier passiert?" fragte Tae sofort, als wir nur noch zu viert waren.
Jungkook musterte seinen Teampartner skeptisch: „Die anderen sagen, Yoongi hätte Namjoon auf dem Weg die Tribüne runter ein Bein gestellt... damit er sich verletzt und Yoongi nicht den ersten Platz streitig machen kann."
Yoongi erwiderte Jungkooks Blick ruhig: „Echt jetzt? ...Ich dachte, du kennst mich mittlerweile besser als das." Obwohl er ruhig wirkte, während er das sagte, bezweifelte ich, dass das Misstrauen seines Teamkollegen ihn wirklich so kalt lassen konnte... aber erneut musste ich feststellen, dass ich kein einziges Signal von ihm empfing.
Unser Klassensprecher dachte eine Weile über Yoongis Worte nach, bis er sich plötzlich angestrengt zwei Finger an die Schläfe drückte und die Augen zusammenkniff: „Was... hast du gerade gesagt? ... Ich..." und auf einmal begann er leicht zu schwanken.
Sofort packte ich ihn und setzte ihn auf die unterste Stufe der Tribüne, die sich zum Glück nur zwei Schritte hinter ihm befand. „Was auch immer du gerade tust, lass es!" fauchte ich Yoongi an, aber Jungkook widersprach sofort: „Nein... das hat nichts mit Yoongi zu tun, das hier fühlt sich ganz anders an..."
Entgeistert schaute ich zu Yoongi... Warum zur Hölle wusste Jungkook, wie sich seine Gabe anfühlte!?
Doch Yoongi verdrehte nur die Augen „Jungkook, ich habe Namjoon kein Bein gestellt und wenn du auch nur eine Sekunde logisch darüber nachdenken würdest, dann würde dir das auch auffallen. Ich verschwinde von hier, wir reden heute Abend." Mit einem letzten kalten Blick in meine Richtung, wendete sich Yoongi von uns ab und lief über den Platz davon.
Plötzlich bereute ich mein patziges Verhalten ihm gegenüber, riss mich aber schnell zur Vernunft. Ein paar harte Worte würde Min Yoongi schon aushalten müssen, nach allem, was er mir angetan hatte im Laufe der letzten 10 Jahre... Aber warum konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass Yoongi Namjoon so hinterhältig attackieren würde?
Tae und ich blieben allein mit Jungkook zurück... unsicher, was wir jetzt mit ihm tun sollten. Er saß immer noch vorn übergebeugt auf der untersten Stufe der Tribüne und hatte den Kopf in die Hände gelegt.
„Scheiße ich..." presste er hervor „...Ich komm echt gar nicht klar."
Tae und ich wechselten einen besorgten Blick und er dachte mit Sicherheit das Gleiche wie ich: Die verblüffende Ähnlichkeit von Jins Anfällen und Jungkooks Zustand jetzt gerade, war nicht zu übersehen.
Ein ungutes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus... irgendetwas stimmte hier nicht. Jins Gabe war in der Regel unzuverlässig und geriet häufiger außer Kontrolle, aber wenn Jungkook jetzt schon anfing sich so zu verhalten, dann war hier irgendetwas faul.
Plötzlich packte Jungkook Taes Hand: „Es wird... schlimmer" er klang schrecklich gequält „Könnt ihr bitte... irgendwas... machen? Alles... bitte..."
„Scheiße" murmelte Tae und umschloss Jungkooks Hand fest mit seinen Händen. In diesem Moment standen meinem besten Freund seine Gefühle sozusagen auf die Stirn geschrieben. Hilfesuchend sah er zu mir.
Schnell schaltete ich, vielleicht konnte ich unserem Neuen wirklich helfen! Aber dafür musste ich leider seine Privatsphäre verletzen.
Ich kniete mich vor Jungkook und entschuldigte mich noch kurz bei ihm, woraufhin Tae nur die Augen verdrehte: „Mach jetzt" fuhr er mich unsanft an.
Ich nickte und trat an Jungkooks Bewusstsein heran. Zunächst bemerkte ich, dass sein Zelt ziemlich gut in Schuss war, wenn man seinen Allgemeinzustand bedachte... Er hatte anscheinend mittlerweile genug trainiert, sodass er sich nicht mehr auf seine geistige Abwehr konzentrieren musste, um sie aufrecht zu erhalten.
Mühelos jedoch ritzte ich jetzt einen Schlitz in den Stoff und sofort implodierte das kleine Zelt. Ich trat ein und was ich sah, war höchst alarmierend. Es war, als würden in Jungkooks Kopf zwei Kräfte gegeneinander wirken. Sein Gedankenstrom floss von einem Argument zum nächsten und drehte sich immer wieder im Kreis:
‚Yoongi ist versessen auf den Sieg, natürlich würde er Namjoon verletzen.'
‚Yoongi hat gestern noch vorgeschlagen, dass wir Namjoon und Jhope in unsere Gruppe aufnehmen sollen... das würde er doch nicht tun, wenn...'
‚Yoongi ist versessen auf den Sieg, natürlich würde er Namjoon verletzen.'
‚Yoongi hat sich noch nie für unsere Mitschüler interessiert. Außer Jimin, sind ihm alle anderen egal. Vor allem Namjoon ist ihm egal...'
‚Yoongi ist versessen auf den Sieg, natürlich würde er Namjoon verletzen.'
‚Yoongi hat nicht mal Familie... Diese Rankings interessieren ihn einen Scheiß.'
‚Yoongi ist versessen auf den Sieg, natürlich würde er Namjoon verletzten.'
...
Ich beobachtete Jungkooks Gedanken eine Weile und das Muster war unübersehbar. Ich packte seine Schultern und schüttelte ihn sanft.
„Hey... merkst du denn nicht, dass es nur einen einzigen, völlig bescheuerten Grund gibt, an Yoongi zu zweifeln? Du hast ihn schon tausendmal widerlegt, hör endlich auf damit!"
Meine Worte veränderten etwas in seinem Bewusstsein. Es war, als würde eine Glasscheibe zerspringen und ein Druck von ihm abfallen.
Jungkook richtete sich plötzlich auf und sah mich verwundert an. Vor Freude, dass es tatsächlich geklappt hatte, blieb ich eine Sekunde zu lang in Jungkooks Bewusstsein und sah natürlich sofort etwas, was niemals für meine Augen bestimmt gewesen war.
Sofort taumelte ich rückwärts und blinzelte zweimal verwirrt.
Jungkook erhob sich ruckartig: „Danke für deine Hilfe Jimin, ich muss mich sofort bei Yoongi entschuldigen!" und schon rauschte er davon.
Mein bester Freund sah aus, als würde er vor Neugier gleich platzen: „Jetzt erzähl endlich, was da los war!"