Rokko lief zielstrebig, ohne auf die Blicke und das Geflüster zu achten, auf Petersens Büro zu. Petersen verstand und folgte ihm. Auf dem Weg wandte er sich an seine neue Assistentin: "Ich möchte erstmal nicht gestört werden." Bevor er Rokko in das Büro folgte. Fast alle anwesenden Mitarbeiter hatten sich zu kleinen und größeren Gruppen zusammengefunden. Die Mitarbeiter, die bereits zu seinen Zeiten als PR-Chef bei Kerima hier arbeiteten, informierten die später dazu gekommenen Mitarbeiter über jedes noch so kleine Detail über die geplatzte Hochzeit und das Beziehungsdrama rund um Lisa, Rokko und den ehemaligen Juniorchef. Gerade als er die Tür schließen wollte, kam Herr Seidel Senior herein. "Was ist denn da draußen los? Bei der ganzen Aufregung könnte man meinen, der Papst wäre hier gerade mit einem unserer Models hereinmarschiert," führte er als mögliche Erklärung für den Ausnahmezustand der sonst konzentrierteren Belegschaft an, bis sein Blick schließlich auf Kerimas ehemaligen PR-Chef fiel. "Mit dem Papst hat mich bisher auch noch niemand verglichen," entgegnete dieser nur mit einem kurzen, fast nicht existenten Lächeln. "Herr Kowalski." "Mit was haben wir uns denn diese Ehre verdient?" fragte Friedrich sichtlich überrascht. "Ich habe gehört, Kerima steckt in Schwierigkeiten." "Da haben Sie richtig gehört. Wir haben eine schwere Zeit hinter uns und, wie ich befürchte, auch vor uns." "Und genau deswegen bin ich hier." Friedrich und Max tauschten einen fragenden Blick aus. "Wie meinen Sie das?" Ein kleiner Hoffnungsschimmer schwang in seiner Stimme mit. "Ich werde Ihnen helfen." Max musste vor Freude kurz auflachen. Friedrich war sprachlos. "Unter ein paar Bedingungen," fügte der Werbeprofi hinzu. "Und die wären?" meldete sich nun auch Max zu Wort.
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Während Lisa ahnungslos von den Geschehnissen, welche entscheidend für die Zukunft der Firma samt Mitarbeiter sein könnten, konzentriert weiter arbeitete, klopfte es plötzlich an ihrer Tür und Helga kam herein. "Lisa Mäuschen, ich geh auf den Großmarkt, damit meine Vertretung für die nächsten zwei Wochen alles Notwendige da hat. Soll ich dir irgendwas mitbringen?" "Nein danke, Mama, ich brauche nichts," lehnte diese ab und wollte ihren Blick schon wieder abwenden und weiter arbeiten. Als sie dann allerdings die Schritte ihrer Mutter näher kommen hörte, bis sie vor ihrem Schreibtisch wieder verstummten, schaute sie mit einem fragenden Blick wieder zu ihr auf. "Ähm, Lisa," setzte Helga an. Man merkte, sie wusste nicht so recht, wie sie das Thema ansprechen sollte. "Ist bei dir wirklich alles in Ordnung?" "Ja, ja, natürlich, was soll schon sein?" kam die viel zu fröhliche und schnelle Antwort. Helga musterte Lisas Gesicht ganz genau, als würde sich in ihrer Reaktion die Antwort auf all die Geheimnisse und Sorgen verbergen, die ihre Tochter ihrem Verhalten nach zu verstecken versuchte. "Es ist nur, du, du hast uns so lange nicht mehr besucht, und dann stehst du plötzlich vor unserer Tür und bist komplett verändert und irgendwie scheinst du nicht gerade glücklich zu sein. Und jetzt stürzt du dich auch noch so in die Arbeit." Als Lisa nur ihrem Blick auswich und ansonsten nichts erwiderte, fügte sie noch schnell hinzu: "Bitte versteh mich nicht falsch. Ich bin so froh, dich wieder hier bei uns zu haben, aber irgendwie wirkst du so, als würde dich irgendwas bedrücken. Hast du dich mit David gestritten? Bist du deshalb ohne ihn hier?" Es dauerte ein paar Momente, bis sie sich überlegt hatte, wie sie antworten könnte. "Es ist wirklich alles okay, aber du weißt doch, was hier los ist. Da bleibt mir doch gar nichts anderes übrig, als mich in die Arbeit zu stürzen." "Dafür hatten David und ich doch auch lang genug frei," nahm sie extra kurz Bezug auf David, um sie von dieser Vermutung abzulenken. Helga war klar, dass da noch mehr war, aber ihr war auch bewusst, dass sie jetzt nicht mehr aus ihrer Tochter herausbekam. Also gab sie sich fürs Erste geschlagen. "Gut, wenn doch etwas sein sollte, dann weißt du ja, du kannst immer mit mir und Papa sprechen." "Ja, das weiß ich doch und dafür bin ich euch auch dankbar."
Helga lächelte Lisa noch einmal zu, bevor sie ihr Büro wieder verließ. Die unübersehbare Sorge, welche Helga erfolglos versuchte mit dem Lächeln zu verstecken, löste Lisas Konzentration in Luft auf. Deshalb schob sie sich mit ihrem Stuhl von ihrem Schreibtisch weg, schnappte sich Schal und Mantel und verließ Kerima in Richtung Jürgens Kiosk.
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Erwartungsvoll richteten beide ihren Blick auf Rokko und warteten gespannt auf seine Antwort. "Ich bin nur zeitlich befristet hier. Sobald die Firma sich vom Schlimmsten erholt hat und wieder auf einem guten Weg befindet, werden wir wieder getrennte Wege gehen. Ich brauche geregelte Arbeitszeiten. An manchen Tagen muss ich schon am frühen Nachmittag Feierabend machen. Ich werde mich nicht nochmal von den Geschehnissen in dieser Firma vereinnahmen lassen. Aber ansonsten werde ich mein Bestes geben, um Ihnen und der Firma zu helfen. Und als letzter und wichtigster Punkt: Ich will weder mit Lisa noch David zusammenarbeiten, soweit das vermeidbar ist."
Sowohl Herr Petersen als auch Herr Seidel waren von seinen Forderungen überrascht. Sie hätten mit allem Möglichen gerechnet, aber nicht damit, dass er so bescheidene Bedingungen stellen würde.
"Wann können Sie anfangen?"
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Als die Türglocke des kleinen Kiosks ertönte, drehte Jürgen sich um, um seine Kundschaft zu begrüßen. Als er seine beste Freundin entdeckte, musste er sofort grinsen. Lisa besuchte ihn zwar bei weitem nicht mehr so oft wie in ihrer Zeit als Assistentin der Geschäftsführung, was vermutlich daran lag, dass sie nicht mehr unglücklich in ihren Vorgesetzten verliebt war und somit auch nicht viel zu berichten oder zu beschweren hatte, was für gewöhnlich eher der Fall gewesen war. Aber im Vergleich zu den vielen Jahren, in denen er sie gar nicht gesehen hatte und sich ihr Kontakt auf eine Handvoll Briefe und ein paar sporadische Telefonate, meistens zu Geburtstagen und Feiertagen, beschränkt hatte, war das ein starker Kontrast und eine willkommene Veränderung.
"Liselotte!" strahlte er. "Womit habe ich denn diese Ehre verdient?" Er griff sofort nach einer Tasse und schenkte ihr Kaffee ein, welchen sie dankend annahm, bevor sie sich auf die Bank setzte, wohin Jürgen ihr ebenfalls mit einer Tasse Kaffee in der Hand folgte und neben ihr Platz nahm. Trotz Jürgens erwartungsvollem Blick ruhten ihre Augen noch eine Weile auf dem warmen Getränk in ihrer Hand, bevor sie ihren Blick erhob und zu einer Antwort ansetzte.
"Meine Mutter macht sich zu viele Sorgen um mich. Ich glaube, sie merkt, dass etwas nicht stimmt." Jürgen zog die Augenbrauen hoch. "Du bist seit Wochen hier ohne eine Spur von David oder sonstigen Erwähnungen von ihm. Was hast du denn erwartet? Dass sie denken, ihr führt eine Art glückliche Fernbeziehung, in der ihr euch alle paar Jahre mal seht?! Zumal man dir deutlich anmerkt, dass dich irgendetwas belastet." "Du hast ja recht, aber was soll ich denn machen?" "Hast du es mal mit der Wahrheit versucht? Ich habe gehört, das soll helfen." konnte Jürgen sich einen sarkastischen Kommentar nicht sparen. "Ich weiß einfach nicht, wie die beiden reagieren werden. Du weißt doch, dass Papa große Stücke auf David hält und Mama... Ich will einfach nicht, dass die beiden sich Sorgen machen." "Das tun sie ja so offensichtlich auch schon. Es gibt nur eine Möglichkeit herauszufinden, wie ihre Reaktion ausfällt: Du musst es ihnen sagen."
Das Gespräch mit Jürgen hatte ihr nochmal die Augen geöffnet. Wie auch schon bei ihrer Rückkehr nach Berlin und zu Kerima, hatte sie sich von ihrer Angst vor dem Ungewissen davon abhalten lassen zu handeln. Und wo das enden kann, hatte sich ja bei ihrer Ehe mit David gezeigt. Sie wollte nicht noch mal unüberlegt handeln, so wie sie es bei Rokko getan hatte. Deshalb ließ sie es lieber gleich bleiben. Aber ihre Eltern hatten es nicht verdient, dass sie sich grundlos Sorgen um sie machten, zumal sie ja jetzt nicht mehr mit ihrer albtraumhaften Ehe zu kämpfen hatte, sondern vielmehr mit der Art, wie sich ihr Leben dadurch entwickelt hatte und ihre Träume in Schutt und Asche gelegt hatte. Lisa hatte ihre Hände in ihrer Manteltasche, während sie zurück zu Kerima lief. Sie zog ihre Hände aus der Manteltasche und lockerte ihren Ehering, welchen sie aus Alibigründen noch immer trug, etwas, bevor sie ihn einen Moment lang betrachtete. Der Ring und die Last der daran hängenden Erinnerung an die vergangenen Jahre lasteten schwer an ihrem Finger und erinnerten sie immer wieder an ihre schlechte Entscheidung. Dass ihre vergangene Liebe, die ehemalige Lösung für all ihre Probleme und Sorgen und Hauptursache ihres Glücks, viel näher war, als sie vermutete, war ihr natürlich nicht klar, als sie in den Kerima-Aufzug stieg. Im selben Moment wartete eben diese Person darauf, dass der Aufzug kam, damit er nach seinem erfolgreichen Gespräch nach Hause gehen konnte. Als es soweit war, stieg er in den Aufzug. Im selben Moment, in dem sich seine Tür schloss, ging beim Aufzug daneben die Tür wieder auf und Lisa stieg aus. Heute war noch nicht der Tag, an dem sie und ihr Leben wieder zurück zum Glück finden würden...

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Verliebt in Berlin - Missed Chances (Lisa & Rokko)
RomanceAcht Jahre nach ihrer Hochzeit mit David kehrt Lisa nach G?beritz zurück und muss sich den Konsequenzen ihrer Entscheidungen stellen. Lisa/Rokko.